Dienstag, 15. Oktober 2024
Laut Wetterbericht der letzte regenfreie Tag, also wird wieder gewandert. Mit erstaunlich wenig Widerstand vom Nachwuchs. Louisa hat den Morgen schon bei den vier Kälbchen verbracht und sich fest gekrault. Eine echte Kuhflüsterin und – Mal wieder – auf dem Weg zur Vegetarierin. Aber noch nicht gleich.
Wir kommen um 10 Uhr los, was für uns richtig gut ist. Diesmal nur 20 Minuten steile Fahrt zum Parkplatz Kasereck, der erstaunlicherweise kostenfrei ist. Von dort aus führt der Weg wahlweise eineinhalb oder zweieinhalb Stunden zum Latzfonser Kreuz. Wir nehmen den kürzeren, der entsprechend steiler über eine Hochalm führt. Aber alles bestens, vermutlich weil bei allen vier das Frühstück noch nicht solange her ist und wir inzwischen etwas eingelaufen sind. Vor uns geht geradezu ein Ameisentrail den Berg hinauf.
Der Grund, vielleicht: Der schwarze Herrgott höchstselbst. Die Figur wurde Ende des 18. Jahrhunderts geschaffen, um das Tal künftig vor schweren Unwettern zu bewahren. Und das am höchsten Punkt, zu dem man damals kam: auf 2311 Metern Höhe. Weil der Herrgott erstmal unter freiem Himmel wirken musste, wurde er mit Ochsenblut und Pech wetterfest gemacht – deshalb ist er schwarz. Er bekam erst eine kleine Kapelle, 1860 eine etwas größere. Dort verbringt er nach einer Wallfahrt aus Latzfons den Sommer. Und just jetzt wird er wieder ins Tal gebracht, am Sonntag gibt es dazu eine Prozession. Wer den Herrgott also quasi noch in seiner Sommerfrische sehen wollte, musste genau heute hoch.
Und dann kommt auf dem Weg auch noch die Sonne raus – wunderbar. Wir legen auf der Hütte neben der kleinen Kapelle (höchstgelegener Wallfahrtsort Europas!) eine Rast ein. Es gibt noch die Reste der Saison, denn am Wochenende schließt auch die Hütte. Vermutlich, weil der heilige Nachbar fehlt. Zum Glück können wir mit Karte zahlen, denn langsam geht uns das Bargeld aus. Das Kastanientiramisu schmeckt übrigens deutlich besser als die Kastanienrolle. Und wir entdecken den Herrgott: Er ist schon von der Kapelle in den Gastraum gebracht worden und darf noch etwas Zeit unter den Wanderern verbringen. In der Sitzecke, neben den Wanderstöcken. Bevor er am Nachmittag mit dem Auto ins Dorf gebracht und für das Event am Sonntag auf poliert wird.
Danach machen wir uns noch zu viert auf den Weg zur Kassianspitze, beziehungsweise erstmal zum kleinen See unterhalb. Aber Nicole und Louisa stellen schnell fest, dass in Sachen Höhenmeter langsam nichts mehr geht. Also wandern sie zurück zur Kapelle, Gerald und Kilian besteigen tatsächlich die Kassianspitze mit ihren 2581 Metern.
Nicole nimmt die Kapelle genauer unter die Lupe. Wie es sich für einen Wallfahrtsort gehört, werden viele Totenbildchen zum Herrgott gebracht. Und nach Jahrgängen sortiert liebevoll in roten Mappen in Plastikfolien abgeheftet. Louisa und Nicole stöbern wie üblich mit leicht morbiden Interesse in den Schicksalen. Als sie sich losreißen können, kommen Wanderer: Ein 95-Jähriger Winzer (zu erkennen an der blauen Schürze und dem Hut) mit relativ normalem Schuhwerk, in Begleitung eines weiblichen Familienmitglieds. Den Weg nach oben hat er wie immer Mal kurz zu Fuß zurückgelegt. Und ab geht es in die erste Bankreihe zum Beten.
Kurz darauf kommen die beiden Gipfelstürmer sehr euphorisiert zurück. Kilian hatte ja vorher sehr gehadert und jetzt seinen ersten Gipfel für diesen Urlaub erklommen. Nach allem was sie erzählen, war es wohl gut. Der Rückweg ist natürlich deutlich einfacher als der Hinweg, es geht ja „nur“ bergab – und das geht ganz schön auf die Gelenke. Unterwegs nieselt es noch eine Runde. Am Auto angekommen sind wir alle ziemlich platt und zufrieden.
Die heutige Tour in Daten: 11,5 Kilometer, rund 810 Meter hoch und wieder runter. Das bedeutet für Nicole und Louisa etwa 9 Kilometer und 500 Höhenmeter.
Wir kaufen noch im rettungslos überteuerten Miniladen in Latzfons ein. An der Kasse strahlt uns die Kassiererin an: Ihr wart auf dem Latzfonser Kreuz, oder? Es stellt sich heraus, dass sie am Kasereck neben uns geparkt und uns wiedererkannt hatte. Ein fröhlicher Plausch an der Kasse. Dann schauen Gerald und Nicole noch kurz in die Pfarrkirche, die Winterresidenz vom schwarzen Herrgott, für die schon ein Plätzchen an der Wand freigehalten wird
Abendessen Omelett von glücklichen Hofhühnern, Knoblauchbrot, grüner Salat und ein Gläschen feiner, aber preisiger Kerner aus dem Eisacktal.