Auf der anderen Seite des Flusses

  1. Januar 2025

Da wir erst nach 2.30 Uhr geschlafen haben, startet das neue Jahr langsam. Gegen 12 Uhr ziehen wir gen Richtung Jardim da Estrela, einen kleinen Park ein paar Straßenzüge entfernt. Außer verstreuten Touristen sind ausschließlich Eltern mit kleinen Kindern oder Hundebesitzer unterwegs. Immerhin, wir sichten ein geöffnetes Café, das aber aus allen Nähten platzt. Im Park selbst strahlt die Sonne, es fühlt sich nach Frühling an. Wir lassen uns an einem Kiosk nieder und genießen Cappuccino, Gebäck und die Sicht. Denn es gibt viel zu sehen: Ein kleiner Mops versucht zu betteln und stupst mit den Pfötchen an Nicoles Knie. Auch in kleiner Husky ist unterwegs – was alles niemanden stört. Nur ein kleines Mädchen verteidigt beharrlich sein Croissant, das der Husky ebenso sanft, wie beharrlich ins Visier nimmt.

Durch ein Viertel mit viel Jugendstil geht es Richtung Prazeres-Friedhof. 1833 tobte in Lissabon die Cholera, neue Friedhöfe wurden benötigt und einer wurde direkt den Reichen quasi vor die Tür gebaut. Entsprechend prächtig sind die Gräber, richtige Häuser, die sich in Straßen samt Hausnummern aneinander reihen. Eine schöne Atmosphäre, die außer uns heute nur ein Rudel Katzen genießt, die in unterschiedlichen Pflegegraden zwischen den Grabmalen wohnen.

Vor der Tür fährt normalerweise die betagte Kult-Straßenbahn Nummer 28 – aber wegen Gleisarbeiten gibt es gerade nur den Schienenersatzverkehr, also einen Bus. Wir laufen durch ein, nennen wir es: wenig herausgeputzt es, Viertel Richtung Tapada des Necessidades, einem der ältesten Parks der Stadt. Tatsächlich stellen wir fest, dass dort vor allem Familien aus Lissabon unterwegs sind – und dass der Park irgendwie etwas heruntergekommen wirkt. An jeder Ecke kräht ein Hahn oder huscht ein Huhn durchs Bild. Der Kakteengarten ist großartig, vor allem mit der Brücke im Hintergrund, allerdings sind die Wege komplett überwuchert. Direkt angrenzend ist übrigens das Außenministerium, untergebracht in einem pinken historischen Gebäude.

Als nächstes wollen wir die Cristo de Rei-Statue ansteuern, die der großen Christus-Statue in Rio des Janeiro in nachempfunden wurde, als Dank, weil Portugal im zweiten Weltkrieg verschont blieb. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln würde das ziemlich lange dauern. Aber Kilian ordert wieder ein Uber-Taxi, das uns über die große Brücke direkt vor den Eingang bringt. Schweigsam er Fahrer, ein Gurt zu wenig, dicke Schlaglöcher, aber wir kommen gut an. Und stutzen: Auf der Aussichtsplattform sieht man überhaupt keine Menschen, ist sie vielleicht heute geschlossen? Aber der Ticketverkauf empfängt uns schon mit lauter sakraler Musik und Chorgesang, zur Erinnerung, dass man sich auf heiligem Boden befindet. Könnte man sonst angesichts des profanen Eintrittspreises von 32 Euro für uns vier auch vergessen. Eine Angestellte informiert uns, dass die Wartezeit über eine Stunde betragen wird – wir rätseln weiter.

Im Schatten warten wir also abwechselnd im wirklich kühlen Wind. Nicole und Louisa stehen irgendwann im Café Schlange, um mit Kaffee und Toast (heiß-fettig, Schinken-plus-käse-plus-Hack, wir haben einfach genommen, was gerade aus der Küche kam) gerade rechtzeitig zurückzukehren. Und das Rätsel löst sich: Das 109 Meter hohe Denkmal wurde 1959 eingeweiht, nach oben führt ein einziger Aufzug und dann noch ein sehr schmaler Weg, der nur in eine Richtung begangenen werden kann. In den Aufzug passen 19 Menschen …. Und so dauert es einfach sehr lange, bis er nach oben fährt, alle im Einbahnstraßen-Prinzip zur Aussichtsplattform gelangen, dann die nächsten 19 nach unten fahren etc. Damals hat wohl schlicht noch niemand mit Menschenmassen auf Reisen gerechnet. Auf der Plattform selbst ist dann witzigerweise fast nichts los.

Den Plan, zum Sonnenuntergang gegen 17.30 Uhr den Tejo mit der Fähre zu queren, müssen wir verwerfen. Also genießen wir die Nachmittagssonne und das schöne Licht, fotografieren oben und dann noch unten. Dann machen wir uns auf einen langen Fußweg Richtung Fähre durch das Örtchen Almada, das wie eine etwas ärmere Schwester des großen Lissabon wirkt. Auch hier haben an jeder Ecke Minimercardores geöffnet, wir stranden eine Weile in einem Asia-Markt. Es gibt Bars, in denen ältere Männer ihren Rotwein trinken, und noch mehr Haschwolken als auf der anderen Seite des Flusses. Einzelne Restaurants sind schon zum Bersten gefüllt, obwohl es noch so früh ist, in anderen wird gerade der Tisch geputzt.

Als wir an der Fähre ankommen ist das Licht gerade unwirklich schön. Und für kaum etwas mehr als einen Euro kommen wir wieder zurück nach Lissabon. Inzwischen sind wir ziemlich müde und sehr hungrig. Und haben das Luxusproblem, dass wir uns erst nicht entscheiden können, was es denn nun geben soll. Interessanterweise gehen die Portugiesen heute früh essen, gleichzeitig hat viel geschlossen. Wir irren eine Weile durch die Gegend und landen schließlich im Sao Rabanete, das … Osteuropäische Küche anbietet. Lammauflauf, Kartoffelstampf mit Fleischbällchen, Pelmini, also gefüllte Nudeln, Nachtisch mit Blaubeeren, herrlich. Und heute geht es sicher früher ins Bett.