Samstag, 5. Juli 2025
Die Woche vor der Abreise entpuppt sich als Hochadrenalinsprint. Dringende Ohrenarzttermine für Nicole. Wolken bezüglich Louisas Kanada-Visum tauchen am Horizont auf. Ein neues Handy, das zunächst im Lieferzentrum hängen bleibt und erst kurz vorm Flug, nach strengen Nachfragen, mit dem Vermerk „VIP“ plötzlich geliefert wird. Bei Datenübertragen verschwindet eine essentielle Bank-App und hätte danach gerne einen jahrealten QR-Code, der auch nach langem Suchen (wenig überraschend) unauffindbar bleibt. Wir finden eine Lösung und so geht auch das alte Handy mit auf die Reise. Lufthansa meldet einen überbuchten Flug und ob man vielleicht einen späteren Termin nehmen möchte. Wollen wir nicht.
Und dann geht um 4.30 Uhr der Wecker. Diesmal erscheint der Weg zum Parkhaus am Terminal 3 viel kürzer. Die Koffer sind zügig weg, die Reiseleitung lockt mit dem Versprechen auf leckere Bäckereien schnell zum Gate. Allein, das gelobte Land liegt hinter der Zollkontrolle – und da wir den ersten Flug nach Amsterdam haben, müssen/dürfen wir da ja garnicht hin (Die Backwaren wurden beim Flug nach Birmingham entdeckt, da muss man inzwischen wieder aus der EU ausreisen). Es bleiben genau eine Bäckerei und ein Gate mit dem Charme einer überdimensionierten Bushaltestelle. Und wir haben eineinhalb Stunden Zeit.


Auf dem Lufthansa Flug gibt es Turbulenzen anderer Art: Ein niederländisches Pärchen vor Louisa und Nicole tickt aus, als es die afrikanische Kunst im Gepäckfach in Gefahr wähnt. Schreie, Schläge, bis ein offensichtlich geschulter Steward ihnen sehr tief in die Augen schaut und mit dem Rauswurf aus der Maschine droht. Im Zweifel bei einer Zwischenlandung auf dem Weg nach Amsterdam. Die Frau wird von ihrem Begleiter fortan sehr fest gehalten, der Steward schaut regelmäßig vorbei und die Atmosphäre ist nicht ganz entspannt.
Der Flughafen Schipohl begeistert. Weite hohe Räume, keine lauten Durchsagen („wir sind ein leiser Flughafen“ ), zumindest im Transitbereich eine große Auswahl ansprechender Gastronomie. Zu ansprechend – und so wird es natürlich wieder knapp. Denn erst direkt vor dem Pass-Automaten stellt sich heraus, dass Louisa mit 13 noch in die lange Warteschlange muss, Mutter und Tochter reihen sich also ein. Das hätte nie geklappt, hätte nicht eine Flughafenmitarbeiterin auf Nachfrage noch schnell den Weg zu einer kurzen Schlange gefunden. Wobei da dann an der Grenze Mal wieder ein Azubi eingelernt wurde und den Eindruck vermittelte, dass es die ersten Pässe sind, die er in seiner Karriere zu sehen bekommt.




Der Flug mit Air Canada, einer Boeing Dreamliner, ist superentspannt. Kein Vergleich mit dem Gezuckel in der alten Lufthansa-Boeing auf dem Weg nach Singapur. Das Personal ist zurückhaltend, aber freundlich. Essen passabel, Kaffee sogar aus der Kanne. Die Kanadierin (Toronto/Inderin) neben Nicole ist superlieb, der Film „Wicked“ vertreibt in der Frauenreihe die Zeit. Faszierend: Die Fensterscheiben werden automatisch dimmt, man hat das Gefühl, unter Wasser zu treiben.
Wir landen sogar etwas früher. Eine große Halle mit digitalen Geräten zur Einreisekontrolle erwartet uns – und wir sind alle vier gleich durch. Alle vier! Ausatmen. Die Dame an der Passkontrolle hasst offensichtlich ihre Arbeit. Aber alle anderen Kanadier danach (das klingt so einheitlich, ist aber tatsächlich sehr bunt, vom alten Inder mit Dutt über die jungen afrikanisch-stämmigen bis zum Asiaten im Taxi) halten sich an das Klischee der freundlichen Nation. Im Hotel bekommen wir zunächst das falsche Zimmer zugeteilt: Die Tür geht nicht auf und wir hören Stimmen, hm. Der junge Franko-Kanadier an der Rezeption ist peinlich berührt – und irgendwann sind wir im richtigen Zimmer. Es ist für uns 21 Uhr abends. Alle vier sinken erstmal aufs Bett und schlafen kurz ein.



17.30 Uhr Ortszeit / 23.30 Uhr deutsche Zeit sind wir wieder unterwegs. Drei könnten im stehen weiterschlafen, bei der Reiseleitung wandelt sich die Müdigkeit in pure Euphorie. Eine knifflige Mischung. Und essen müssten wir auch Mal. Wir spazieren Richtung Alter Hafen, wobei das einzig alte inzwischen ein Uhrturm ist. Der Rest ist Grün, Vergüngungszone, Stadtstrand (der schon schließt), Yachthafen. Ein Blick auf den St. Lorenz-Strom, der schon hier ein ziemlich Reißender Fluss ist, auf dem johlende Touristen in Booten gegen die Wellen krachen. Picknicktische, saubere und kostenlose öffentliche Toiletten. Schön hier, mit etwas Australien-Flair.







Dann gehen wir Richtung Vieux Montreal, also französische Altstadt, und die Sache entgleist etwas. Am frühen, sehr warmen Abend, sind die Massen unterwegs. Alle Restaurants sitzen voll, alle Take-Aways haben lange Warteschlangen. Also auf gen Chinatown, vorbei an Zelten von Obdachlosen, derer es stellenweise sehr viele gibt. In Chinatown wird es noch voller, außerdem scheint es ein Verkleidungsevent zu geben. Viele Cosplayer, also in japanischen Manga-Kostümen, zahllose Elfen, ganze Familien in Super-Mario-Outfit – und wir etwas überhitzt, übermüdet und komplett überfordert mittendrin. „Fiebertraum“, seufzt Kilian. Dass das vorab ausgewählte China-Restaurant als einziges in der Straße geschlossen hat (und der Rest knallvoll ist), hilft wenig. Wir treiben weiter – und es wird immer dichter. In der einen Straße wird das Ende des Jazzfestivals gefeiert, woanders spielt ein Straßenmusiker. Tausende sind unterwegs. Wir tauchen kurz in einen Supermarkt ab, um Wasser zu kaufen, und staunen über das Angebot. Dann geht es wieder auf die Straße – Pizzastücke vom Straßenhändler erweisen sich als letzte Rettung. Das (kostenlose) Zirkusfestival samt Musik spielt nur ein paar Meter vom Hotel. Nur kurz hören wir zu, dann geht es unter die Klimaanlage. Und um 21 Uhr Ortszeit, deutsche Zeit 3 Uhr morgens, schlafen alle tief und fest.






